Evaluation Kinderherzchirurgie Dushanbe, Tadschikistan, Mai 2024

Einschätzung hinsichtlich Initiierung eines Unterstützungsprojekts durch die Swiss-Medical-Teams für den Ausbau der Kinderherzchirurgie am Istiqol-Hospital, Dushanbe

Ausgangslage

Die Geburtenrate in Tadschikistan liegt bei ca. 23 Geburten / 1000 Einwohner bei einer gesamt Einwohnerzahl von fast 10 Millionen. 1 von 100 lebendgeborenen Kindern weisst einen Herzfehler auf, so dass sich eine Anzahl von ca. 2300 Kindern mit angeborenen Herzfehler pro Jahr für Tadschikistan ergeben. Über 70% dieser Kinder benötigen medizinische oder chirurgische Behandlung. 25% der Neugeborenen mit angeborenem Herzfehler benötigen einen Interventionseingriff im ersten Lebensjahr, um ihr mittelfristiges Überleben zu ermöglichen. Besteht keine Möglichkeit einer Behandlung stirbt ein Teil der Kinder in den ersten Lebensmonaten, der grössere Anteil überlebt zunächst und stirbt im Laufe der folgenden Jahre qualvoll, langsam an einer fortschreitenden Herz-Kreislaufinsuffizienz.

Aktuell werden in Tadschikistan ca. 200 bis maximal 250 einfache Kinderherzoperationen durchgeführt. Der eigentliche Bedarf liegt geschätzt bei ca. 1000 - 1400 Operationen und Interventionen für die nächsten Jahre. Es gibt keine offiziellen Leistungs- oder Qualitätszahlen. In den letzten Jahren haben verschiedene Hilfsmissionen durch Teams aus dem Iran, Indien und Katar stattgefunden. Bei diesen Missionen werden laut Auskunft der lokalen Ärzte keine Schwerpunkte auf das Teaching gelegt, sondern auf eine Maximierung der operativen Eingriffe durch das visitierende Team während ihrer Mission («Chirurgen-Safari»). 

Generell ist die ausgeprägte Unterversorgung, im Kontext der Gesamtsituation des Gesundheitssystems zu sehen. 

Einschätzung der Situation der Kinderherzchirurgie am Istiqlol Hospital, Dushanbe

Aktuell werden am Istiqol Hospital ca. 30 – 40 einfache Kinderherzoperationen pro Jahr durchgeführt. 

Es besteht ein Kinderherz-Team mit 3 Chirurgen, einem Anästhesisten, 2 Kardiologen, wobei einer der Kardiologen Herzkatheteruntersuchungen und - eingriffe durchführt. Der Leiter des Teams Dr. Ehson Karimov ist ein langjährig tätiger Herzchirurg, welcher herzchirurgische Eingriffe bei Erwachsenen und Kinder durchführt. Im Rahmen seiner Ausbildung und Weiterbildung war er für wiederholte Auslandsaufenthalte in Moskau, Japan (japanisches PhD Diplom), Deutschland und in der Schweiz. Sprachkenntnisse bestehen fliessend für Englisch, Russisch und auch Deutsch. Von ihm werden alle Kinderherzoperationen am Istiqol Spital durchgeführt. Dr. Karimov hat ein überregionales Netzwerk und Zusammenarbeit mit Kardiologen, Geburtshelfern und Hausärzten aufgebaut. Ihm werden regelmässig herzkranke Kinder konsiliarisch zugewiesen.

Die Infrastruktur am Istiqol Hospital ist durch grosszügige Räumlichkeiten gekennzeichnet, welche im Vergleich zu anderen Spitälern einen akzeptablen Gebäudestandard, insbesondere in hygienischer Hinsicht, aufweisen.

Die materielle Infrastruktur ist durch einen eklatanten Mangel an Verbrauchsmaterial und limitierten Gerätschaften geprägt. Bei Besuch war das Herzkatheterlabor aufgrund eines technischen Schadens nicht einsatzfähig. Es war unklar bis zu welchem Termin eine Reparatur und Wiedereinsatz möglich wäre. Im OP und auf der Station ist die Anzahl an Beatmungsgeräten und Überwachungsmonitoren äusserst limitiert. Die vorhandenen Geräte sind allerdings neuerer Bauart (meist chinesische Produkte). Servicepläne scheinen nicht zu existieren. Für die Durchführung der Herzoperationen ist eine vollumfänglich funktionsfähige Herz-Lungen-Maschine, mit welcher das gesamte Spektrum an Herzoperationen bei Erwachsenen und Kindern durchgeführt werden könnte, vorhanden und im Einsatz. Die Operationssaaleinheit ist gut für Herzoperationen geeignet und entspricht den nötigen hygienischen Voraussetzungen (Laminarflow, Gasanschlüsse, sterile Zonen, etc.). Das Instrumentarium ist limitiert. Die nötigen Medikamente, inklusive Blutprodukte, sind in ausreichender Menge verfügbar. Naht- und Prothesenmaterial ist knapp und wird äusserst umsichtig verwendet.

Die durchgeführten einfacheren Kinderherzoperationen wurden während des Besuches durch das Team von Dr. Karimov adäquat und mit guten Ergebnissen durchgeführt. Das Team funktioniert als gute Einheit, allerdings ist ein bestehender Mangel an Routine aufgrund von stark limitierten Eingriffszahlen festzustellen. Das theoretische Wissen scheint vorhanden zu sein, die praktische Erfahrung fehlt.

Die postoperative Versorgung ist gekennzeichnet durch ein stark eingeschränktes Monitoring und Therapiemöglichkeiten. Ärztlicherseits wird die postoperative Betreuung durch den Anästhesisten gewährleistet, welcher bereits die Narkose bei der Herzoperation durchgeführt hat. Seitens der Pflegekräfte besteht personell eine ausreichende Anzahl, allerdings mit stark limitierten bis keinen Fachkenntnissen, insbesondere hinsichtlich der postoperativen Betreuung von herzchirurgischen Patienten. Eine Einschätzung bezüglich der fachlichen Kenntnisse in der intensivmedizinischen Therapie war während des Besuches nicht möglich.

Die Qualität der perioperativen Diagnostik ist gekennzeichnet durch ein vorhandenes Basiswissen bei einfacheren Herzfehlern, aber Unsicherheiten bei etwas komplexeren Herzfehlern, wahrscheinlich aufgrund von mangelnden Möglichkeiten des fachlichen Austauschs und von Weiterbildungsmöglichkeiten.

Trotz der Möglichkeit einfachere lebensrettende Herzoperationen durchzuführen, stellt ein signifikant limitierender Faktor die finanzielle Situation des Gesundheitssystems dar. Die Mehrzahl der betroffenen Familien können sich die Kosten für eine Herzoperation nicht leisten, ausser es finden sich Gönner im sozialen Umfeld oder es besteht die Möglichkeit, einen Kredit aufzunehmen. Familien mit besseren finanziellen Ressourcen entscheiden sich häufig für die Operationen ins Ausland (Indien, Iran, Türkei) zu gehen, mit der Erwartung einer qualitativ-besseren und risiko-ärmeren Behandlung als vor Ort. 

Während des Besuchs wurden informative Gespräche mit dem Spitaldirektor, dem Leiter der Kardiologie, dem interventionellem Kinderkardiologen, mehreren externen Kardiologen und der Leiterin der grössten Geburtsklinik in Dushanbe geführt.

Unterstützungsmöglichkeit

Basierend auf den obengenannten Punkten und den interdisziplinären Gesprächen, besteht die Möglichkeit, im Rahmen einer humanitären Kollaboration/Hilfseinsätzen die Situation der Behandlung von angeborenen Herzfehlern am Istiqol Hospital in Dushanbe mit moderaten Ressourcen signifikant zu verbessern. Primäres Zielt wäre es, mittels Tutoren-Tandems in den jeweiligen Disziplinen und Ebenen die Voraussetzungen für die Korrektur von einfacheren, häufigen Herzfehlern mit geringer Mortalität und tiefer Komplikationsrate zu schaffen. Dies würde den Aufbau eines lokalen Kinderherzzentrums mit einer guten Reputation und Aussenwirkung aufgrund guter Ergebnissen, geringen Mortaitäts- und Komplikationsraten und internationaler Vernetzung ermöglichen. Somit könnten Familien, lokale Gönner überzeugt werden nicht ins Ausland für die Korrekturoperationen zu gehen oder zu investieren. Die Erhöhung der Anzahl an lokalen Herzoperationen würde zu einer grösseren Unterstützung und Förderung der Kinderherzchirurige innnerhalb der konkurrenzgetriebenen Spitalstruktur und auf politischer Ebene führen. Letztlich könnte eine dauerhafte Verbesserung und Ausbau der medizinischen Behandlung herzkranker Kinder im Lande erzielt werden.  

Mindest-Voraussetzungen wären:

  • Engagement für mindestens 5 Jahre + mit mindestens 2 Einsätzen / Jahr (7 – 10 d Dauer)
  • Absichtserklärung / Kollaborationsvereinbarung mit Istiqol-Hospital SL & Gesundheitsministerium zur Entwicklung der lokalen Kinderherzchirurgie
  • Zusammenstellung eines Swiss-Medical-Herz-Teams (Minimalgrösse: Kinderkardiologe, Kinderherzanästhesist/- intensivmediziner, Kinderherzchirurg und Intensivpflegefachfrau/-mann ; idealerweise personell konstant zur Ermöglichung des Aufbaus von längerfristigen Tutoren-Tandems)

Prof. Alexander Kadner, 06/2024